"Jurij Schmidt steht für das Russland, auf das wir hoffen."

16. Oktober 2008
Sehr geehrter Herr Jurij Schmidt, liebe Elena Barychnowskaja,
lieber Arsenij Roginski, liebe Gäste aus Moskau,
lieber Ralf, sehr geehrte Damen und Herren!

Der Petra-Kelly-Preis wird heute zum 5. Mal verliehen – und zum ersten Mal erhält diesen Preis, der den Namen der immer noch weltweit bekanntesten deutschen Grünen trägt – ein Mann.

Es ist ein Mann, wie es nicht viele gibt. Der Aufsichtsrat der Heinrich-Böll-Stiftung, der über die Vergabe des Preises zu entscheiden hatte, fand es daher überhaupt nicht schwer, sich auf diesen Mann zu einigen. Jurij Schmidt teilt in ganz besonderer Weise das Engagement Petra Kellys, an das dieser Preis erinnern soll: das Engagement für die Achtung der universellen Menschenrechte, für gewaltfreie Konfliktlösungen sowie für den Schutz der natürlichen Umwelt. Wir sind daher stolz darauf, dass Sie, Herr Jurij Schmidt, sich bereit erklärt haben, den Petra-Kelly-Preis des Jahres 2006 in Empfang zu nehmen.

Herr Jurij Schmidt ist weltweit durch sein herausragendes Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte und den Aufbau sowie die Verteidigung rechtsstaatlicher Strukturen in Russland bekannt geworden. Den Petra-Kelly-Preis erhält dieses Jahr mit Jurij Schmidt der bekannteste Menschenrechtsanwalt in Russland. Er ist der Gründer und der Vorsitzende des Russischen Anwältekomitees für Menschenrechte. Er war Verteidiger des Ende der 90er Jahre wegen Spionage angeklagten Marineoffiziers und Ökologen Alexander Nikitin, der heute als Mitglied der gerade in die Europäische Grüne Partei aufgenommenen Partei „Grünes Russland“ in neuer Weise eng mit uns verbunden ist. Und Jurij Schmidt gehört seit 2004 zu den mutigen und hartnäckigen Anwälten von Michail Chodorkowski,
dessen Verteidigung gegen die Willkür der russischen Behörden auch unser gemeinsames Anliegen ist.

Jurij Schmidt steht für das Russland, auf das wir hoffen.

Der Aufsichtsrat der Böll-Stiftung hat dazu in seiner Begründung für die Preisvergabe ausgeführt: „Als Anwalt setzt sich Jurij Schmidt seit vielen Jahren unermüdlich dafür ein, dass seine Mandanten ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren bekommen. Jurij Schmidt ficht im Gerichtssaal und in der Öffentlichkeit gegen Willkür  und selektive Rechtsanwendung des Staates in Russland und in anderen Republiken der ehemaligen Sowjetunion. In letzter Zeit ist er wegen seines Engagement zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt. Der Preis ist deshalb auch ein Geste der Solidarität mit dem Preisträger und vielen anderen Menschenrechtlern in Russland und ein Appell an die russische Regierung.

Besondere Bedeutung für die Rechtssprechung in Russland gewann die Verteidigung des Reservemarineoffiziers Alexander Nikitin, die Jurij Schmidt Anfang 1996 übernehmen wollte. Nikitin, der in seiner aktiven Zeit für die Inspektion von atomaren Objekten der sowjetischen und später der russichen Nordmeerflotte zuständig war, hatte für die norwegische Umweltorganisation „Bellona“ Materialen über die Gefahren einer radioaktiven Verseuchung des Nordmeers aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammengestellt. Der Inlandsgeheimdienst FSB klagte ihn daraufhin der Spionage an und lehnte Schmidt als Verteidiger seiner Wahl aus "Geheimhaltungsgründen" ab. Das Gericht wies Nikitin einen vom FSB auf „Zuverlässigkeit“ geprüften Pflichtverteidiger zu. Jurij Schmidt klagte dagegen vor dem russischen Verfassungsgericht und wurde im März 1997 als Verteidiger von Nikitin eingesetzt. Erst mit diesem Urteil wurde die freie Anwaltswahl in Russland gültige und angewendete Rechtsnorm. Schmidt erreichte für Nikitin, der 10 Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, 1999 einen Freispruch.

Anfang 2004 übernahm Schmidt den öffentlich-politischen Teil der Verteidigung von Michail Chodorkowski, weil er in dem Fall Justizwillkür und damit eine Verletzung elementarer Rechte des ehemaligen Unternehmers sieht. Gegenwärtig bereitet Jurij Schmidt das Berufungsverfahren vor und versucht die Verlegung Chodorkowkis aus dem sibirischen Lager Krasnokamensk in den europäischen Teil Russlands zu erreichen. Für seinen Einsatz im Prozess gegen Chodorkowski beantragte die Generalstaatsanwaltschaft Ende 2005 seinen Ausschluss aus der Anwaltskammer, was einem Berufsverbot gleichgekommen wäre. Die Anwaltskammer kam dem Antrag aber nicht nach. Anfang 2006 wurde ein Gesetz in die Staatsduma eingebracht, dass die sich selbst verwaltenden Anwaltskammern auflösen lassen und die Anwälte der direkten Kontrolle des Justizministeriums unterstellen will.“ Soweit aus der Preisbegründung des Aufsichtsrates.

Der Hinweis auf das Unterfangen, die Anwälte der direkten Kontrolle des Innenministeriums zu unterstellen, zeigt, dass es wichtig ist, dass wir gerade jetzt Jurij Schmidt ehren und ihm dadurch den Rücken stärken. Der Hinweis wirft aber darüber hinaus auch ein Schlaglicht auf die generelle, immer intensiver werdende Auseinandersetzung in Russland um die unübersehbaren Entwicklungen zu einem umfassenden Autoritarismus. Insofern schauen wir mit der Preisvergabe an Jurij Schmidt nicht nur zurück, sondern auch nach vorne. Und wir hoffen, dass unsere Anerkennung für seine ehrenvolle Arbeit für viele andere Menschen in Russland zur Ermutigung wird. Wir vergeben diesen Preis als eine Ermutigung an alle diejenigen, die sich für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit der autoritären Welle im Russland unserer Tage entgegen stellen. Wir vergeben ihn als ein Zeichen dafür, dass wir uns auch in Zukunft der aktiven Unterstützung gegenüber diesen Menschen, diesen russischen Freundinnen und Freunden, verpflichtet fühlen. Wir vergeben ihn als Teil eines Versprechens der Solidarität.

Manche Stimmen im Westen, nicht zuletzt aus den USA, haben die undemokratischen Entwicklungen im Russland Präsident Putins zum Anlass genommen, für eine Abkehr von Russland zu plädieren. Dafür, Russland international zu isolieren oder auszugrenzen. Dafür, Russland mit neuer Konfrontation zu begegnen. Von all dem halte ich nichts. Ich bin dafür, dass wir weiterhin sehr engagiert jede Chance zur Partnerschaft mit Russland nutzen. Ich bin dafür, dass die westliche Gemeinschaft gegenüber Russland an der Perspektive einer strategischen Partnerschaft festhält und der Staatsmacht in Russland wie den Menschen in Russland klar unseren Willen zur Gemeinsamkeit vermittelt. Aber dieser Wille zur Gemeinsamkeit ist aufs Engste verbunden und muss verbunden bleiben mit einem ebenso unermüdlichen Einsatz für die universellen Menschenrechte, für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Es sind Menschen wie Jurij Schmidt, die in Russland für eben diese Werte einstehen. Deshalb gehört Jurij Schmidt zu den Menschen, auf die sich auch die Hoffnung gründet, dass es uns gemeinsam trotz vieler Rückschläge gelingen kann, eine tragfähige Brücke zu bauen zwischen dem Westen und Russland, gegründet auf gemeinsame Werte.

Jurij Schmidt, 1937 geboren, hat als Kind die deutsche Belagerung von Leningrad überlebt. Dass er heute nach Berlin gekommen ist, um von der Heinrich-Böll-Stiftung den Petra-Kelly-Preis entgegen zu nehmen, ist für mich auch ein Zeichen für die großartige Versöhnungsbereitschaft des russischen Volkes gegenüber uns Deutschen, die in den über 6 Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg gewachsen ist. Das ist uns Verpflichtung. Auch dafür möchte ich danken.